Wir Luxemburger haben uns zusammen getan, und uns auf den Weg nach Hause gemacht. Wir haben nur das Notwendigste mitgenommen. Ich hatte nur mein Toilettenzeug, Verbandmaterial, eine Feldflasche mit Wasser, aber nichts zu essen. Wir haben uns die ganze Nacht, mal zu Fuß, mal auf einem Fahrrad, mal auf dem Trittbrett einer Kutsche oder einem Bauernwagen der Zivilbevölkerung, die auch auf der Flucht war, durchgeschlagen. Weit über hunderttausend Soldaten und Zivilisten wollten nach Westen. Es war das reinste Chaos auf vollgestopften Straßen. Die grausamsten Gerüchte über russische Soldaten sind zirkuliert, und niemand wusste, wie es weitergehen sollte und was noch alles auf uns zu kam. Mittwochs, den 9. Mai, sind wir ohne eine Minute geschlafen zu haben, über NEUSTADT nach REICHENAU gekommen. Dort sind wir am späten Nachmittag von den Russen gefangen worden. Wir sind in einer riesigen Kolonne, bewacht von russischen Soldaten Richtung ZITTAU marschiert. Unterwegs gab es nichts zu essen, dafür aber Prügel mit Knüppeln und Peitschen von russischen Soldaten, die ihren Hass nicht meistern konnten. Auf ein Haar hätte es mich dann doch noch erwischt. Ich wurde fast von einem russischen Soldaten erschossen, weil ich als Funker einen roten Blitz auf der Uniform hatten, und der Soldat es als SS-Zeichen gedeutet hat. Hat sich aber aufgeklärt, da ich keine Tätowierung mit der Blutgruppe unterm Arm hatte. Das hätte noch gefehlt, nach dem Krieg als SS-Mann erschossen zu werden! Ich bekam noch einen kräftigen Tritt in den A...... und wurde wieder zu den anderen Gefangenen in die Kolonne gestoßen. Donnerstags den 10. Mai sind wir vor ZITTAU angekommen, und es wurde eine Pause gemacht. Uns wurde gesagt; in ZITTAU wird ein Zug zusammengestellt, der fährt euch dann nach Westen. Wir hörten aber ein Gerücht, dass der Zug nicht nach Westen, sondern nach Russland in die Gefangenschaft fahren sollte. Wir, 3 Luxemburger, 1 Elsässer und ein Saarländer, haben das Gerücht geglaubt, (später stellte sich heraus, dass das Gerücht stimmte.) und haben beschlossen, aus der Kolonne zu flüchten, was uns auch mit viel Glück gelungen ist. Wir sind dann bei Einbruch der Dunkelheit durch Berge und Wälder bis vor PETERSDORF marschiert, wo wir im Wald auch mal wieder schlafen konnten. Von da an sind wir immer durch Wälder, Wiesen und Äcker in Richtung Westen marschiert. Wir haben Straßen und Dörfer gemieden, um nicht nochmals von den Russen geschnappt zu werden. Wir sind über RÖHRSDORF, ZWICKAU, FALKENAU, KAMNITZ, bei TETSCHEN BODENBACH über die ELBE gegangen und weiter über ROSENTHAL und sind Samstags den 12. Mai in MARTHELSBACH angekommen. Da haben wir uns Zivilkleidung besorgt und unsere Uniformen weggeschmissen. Sonntags, den 13. Mai haben wir beschlossen die Straßen wieder zu benutzen, da wir ja wieder Zivilkleidung an hatten, (ich hatte sogar mein rot-weiss-blaues Bändchen am Ärmel, das ich die ganze Zeit wie Gold gehütet hatte) und wir glaubten, die Situation hätte sich gebessert. Unsere Meinung war falsch. Schon am späten Vormittag wurden wir zwischen GOTTLEUBA und GLASHÜTTE ein zweites mal von den Russen geschnappt. Wir kamen in ein Gefangenenlager wo wir eine Gruppe von 28 Franzosen getroffen haben, die sich bei ihrer Fahne gruppiert hatten. Wir drei Luxemburger haben uns als Franzosen ausgegeben und wurden auch gleich akzeptiert. Die Franzosen hatten irgendwas mit den russischen Posten abgemacht, und wir konnten mit 3 Pferdewagen aus dem Lager entkommen. Dass die Franzosen uns aufgenommen hatten, ist dem Umstand zu verdanken, dass ich gut mit Pferden umgehen konnte, (hatte das in einem Lehrgang bei den Deutschen gelernt) und musste auch gleich ein Gespann führen. Wir sind bis nach GROSSRÖHRSDORF gefahren, wo wir auch geschlafen haben. Hier konnte ich mich seit langer Zeit wieder richtig satt essen, dank der Verpflegung die wir von den Franzosen erhalten hatten. Vom 14. bis 16. Mai sind wir über DIPPOLDISWALDE, FALKENAU und CHEMNITZ auf der Autobahn angekommen. Dort hatten sich größere Gruppen verschiedener Nationalitäten versammelt. Die Franzosen wurden mit LKW's der französischen Armee nach Hause gefahren. Am Donnerstag den 17. Mai sind dann die ersten abgefahren. Das erste Konvoi nahm aber nur Kriegsgefangene mit. Meine zwei luxemburgischen Freunde, die älter wahren als ich, durften mitfahren und ich, der zu jung war um als Kriegsgefangener zu gelten, musste bleiben. Es war zum heulen. Der nächste Transport war dann für den 21. vorgesehen. Hoffentlich bin ich bis dahin nicht verhungert, denn wo sollte ich was zum essen besorgen. In der zwischenzeit habe ich wieder einen Luxemburger getroffen, XXXXXX aus Kayl. Montag Abends war es dann soweit. Halb verhungert sind wir dann um 21:30 abgefahren und sind Dienstags den 22. um 03:00 in EISENBACH angekommen. Da wurde ein Konvoi mit Belgiern zusammengestellt. Wir gaben uns als Belgier aus, und wurden auch gleich mitgenommen bis nach BAMBERG. Mittwochs den 23. wurde ein Güterzug zusammengestellt mit rund 1500 Holländer. Und schon wieder haben wir unsere Nationalität gewechselt, nur um fort zu kommen. so schnell als nur möglich aus Deutschland, denn hier ging alles drunter und drüber. Da wir kein holländisch verstanden, war das ein kleines Problem, wir konnten den Chef irgendwie dann doch überreden uns mitzunehmen. Der Zug fuhr dann um 14:00 ab, über SCHWEINFURT, WÜRZBURG und kam am 24. Mai um 15:00 in FRANKFURT an Noch am Abends fuhren wir um 21:00 bei MAINZ über den Rhein und waren Freitags um 18:00 in SAARBRÜCKEN. Samstags, den 26. Mai um 06:00, waren wir in DIEDENHOFEN (Thionville) Frankreich, und Mittags um 15:00 in LUXEMBURG. Ich ging dann gleich ins "Bureau de rapatriement". Dort wurde ich darauf kontrolliert, ob ich während des Krieges nicht zu den Nazis gehörte. Mit einer Tafel Schokolade und einem Päckchen Zigaretten ließ man mich dann laufen. Ich nahm den Zug um 18:00 den Zug und fuhr nach Hause (Moutfort (L), wo ich von meiner Familie und Freunden erwartet wurde. Damit war für mich eine Odyssee von 10 Monaten vorbei.
Roger Diederich Mit der Erlaubnis von R. Diederich |